Trends der BCI-Forschung: Messung und Modulation von Gehirnaktivität
Das Potenzial einer direkten Verbindung zwischen Gehirn und Computer ist enorm, etwa für Menschen mit eingeschränkter Motorik aufgrund einer neurodegenerativen Erkrankung wie Parkinson oder amyotropher Lateralsklerose (ALS), in der Schlaganfall-Rehabilitation oder zur Behandlung von psychischen Erkrankungen wie Depression, Angst oder Sucht. Passive Brain-Computer-Interfaces mit implantierten Elektroden werden in der Neuromedizin eingesetzt, um Hirnaktivität auszulesen, etwa zur Hirndiagnostik, Detektion von epileptischen Anfällen oder Schlafstadien-Klassifizierung. Weiterhin lässt sich mit aktiven BCI die Hirnaktivität modulieren, wie bei der Tiefen Hirnstimulation (THS), einer etablierten Methode zur Behandlung von Bewegungsstörungen bei Parkinson. Erste Versuche, die Hirnaktivität bei Epilepsie, Depression und zum Neuro-Enhancement von Gedächtnisfunktionen per BCI zu beeinflussen, liefern derzeit aber nur moderate Erfolge bzw. widersprüchliche Ergebnisse. „Verzerrte Studienergebnisse durch eine geringe Stichprobengröße und mangelnde einheitliche Standards im Studiendesign sind ein häufiges Problem bei innovativen Neurotechnologien“, erläuterte Prof. Mormann, der in der Klinik für Epileptologie der Universität Bonn die AG Kognitive und Klinische Neurophysiologie leitet.
Next-Generation-BCI: Gehirndoping noch nicht in Reichweite
Aktueller Forschungstrend bei BCI sind „intelligente“ Closed-Loop-Systeme, die sich weitestgehend selbst regulieren und die Steuerung bestimmter Hirnareale verfeinern. Echtzeit-Computersysteme messen z. B. bei der Tiefen Hirnstimulation kontinuierlich die Hirnaktivität, um ein exaktes Timing der Stimulation zu ermöglichen. Erforscht wird diese Technik z. B., um Höchstgelähmten die Gedankensteuerung von Neuroprothesen zu ermöglichen. Die sogenannte Responsive Neurostimulation (RNS) ist eine neue Hoffnung für PatientInnen mit arzneimittelresistenter Epilepsie, um epileptische Anfälle zu verhindern. Auch für die Stimulation zur Verbesserung von Gedächtnis und kognitiver Kontrolle bei Erkrankungen wie Depression, Angst und Sucht wird an Closed-Loop-Systemen geforscht. „Obwohl die ersten Studienergebnisse bei Closed-Loop-Systemen der nächsten Generation bislang eher mäßige Therapieerfolge bei häufig ungenügender Spezifität verzeichnen, bilden sie dennoch die Basis für weitere Forschungsanstrengungen zur besseren Charakterisierung der Effekte von implantierbaren Elektroden“, so Prof. Mormann.
Klare Behandlungserfolge der THS bei Bewegungsstörung
Die beste Datenlage mit klaren Behandlungserfolgen von BCI ist momentan bei PatientInnen mit Parkinson-Syndrom, Dystonie, Tremor und anderen Bewegungsstörungen gegeben. Sie können schon jetzt erfolgreich mittels THS mit Schrittmachersystemen behandelt werden. Auf viele andere Hirnerkrankungen lassen sich diese Therapien allerdings bislang nicht übertragen, so Prof. Mormann. Ein Schwerpunkt der Forschung liegt hier aktuell auf der Entwicklung bedarfsgesteuerter Schrittmachersysteme, die nur beim Auftreten von Krankheitssymptomen aktiv werden. Beschleunigt durch die Covid-Pandemie, haben es auch fernsteuerbare Hirnimplantate für die THS neuerdings in den Praxisalltag geschafft: In Echtzeit und unabhängig vom Standort können sowohl ÄrztInnen als auch PatientInnen über eine App Einstellungen des Implantats ändern.
Gehirndoping zur Kreation von Cyborgs ist Zukunftsmusik
Ambitionierte Neurotechnologie-Start-ups, wie beispielsweise das von Elon Musk mit weiteren Investoren gegründete Unternehmen Neuralink, treiben die Forschungstätigkeit im Bereich der Hirn-Computer-Schnittstellen voran. Sie postulieren wagemutige Ideen, die weit über medizinische Anwendungen hinausgehen: Minielektroden sollen das menschliche Gehirn leistungsfähiger machen, bis hin zu einem Verschmelzen des Gehirns mit künstlicher Intelligenz und einer neuen Form der Kommunikation. Aus Sicht von Prof. Mormann ist das nach heutigem Stand noch reine Zukunftsmusik: „Neuro-Enhancement bedeutet gezielte und spezifische Beeinflussung von Hirnaktivität. Voraussetzung dafür ist ein detailliertes und mechanistisches Verständnis dieser Aktivität. Unser Wissen dazu ist bislang allerdings noch viel zu unvollständig und lückenhaft“, so der Experte. Darüber hinaus sind – ähnlich wie beim autonomen Fahren – ethische Fragen, wie z. B. die Urheberschaft und Schuldhaftigkeit von Handlungen bzw. Entscheidungen, bei denen andere Personen zu Schaden kommen, zu berücksichtigen.